Montag, 2. Januar 2012

Vision Europa

Das Konzept des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, unveräußerliche Menschenrechte oder auch die Reisefreiheit im Schengenraum sind allesamt außerordentliche Segnungen für die Völker Europas und einzigartig in der Geschichte dieses Kontinents. Trotzdessen müssen die immer lauter werdenden Rufe nach der intellektuellen Elite, die Europa vorm politischen und gesellschaftlichen Abgrund bewahren –  und gleichwohl einen identifikatorischen Zusammenhalt schaffen sollen –  scheitern.

Ein geistiges Europa hat es nie gegeben. 

Die Idee von Europa basiert auf wirtschaftlicher und justizieller Zusammenarbeit in den 1950 Jahren und vor dem Hintergrund des Schreckens unzähliger europäischer Kriege, deren letzten beiden aufgrund von Stellvertreterkriegen und Kolonialbesitzungen in Weltkriege übergegangen sind.

Ein geistiges Europa, abgesehen von der antiken Poleis des hellenistischen Griechenlands, offenbart sich im 21. Jahrhundert lediglich in Abgrenzung und erst darüber hinaus in wirklichen kulturellen Errungenschaften. Die populistische Abgrenzung zur Türkei wird dabei am stärksten im Medienkanon der europäischen Rechten thematisiert, wie auch die Ost-/ Südost-Erweiterung der Union und in der europäischen Bankenkrise. Alles Themen, die zwar wie die Konzeption der gemeinsamen Währung auf Inklusion, bzw. Exklusion setzen, aber deren Sinn nicht in der Schaffung einer europäischen Kulturlandschaft liegt.

Die gemeinsame Kulturbeschwörung des europäischen Abendlandes dient häufig lediglich den Märkten: liberalisierte Finanz- und Handelszonen und die Schaffung des größten Binnenmarktes der Welt. Die beiden am häufigsten zitierten Errungenschaften – Euro und Schengen – nützen in erster Linie Unternehmen und Konzernen, um die Kosten für Zoll und Handel zu harmonisieren und damit Wettbewerbsvorteile gegenüber US-amerikanischen und asiatischen Märkten zu erzielen. Und erst an zweiter Stelle dem Bürger, dessen Gewinn nicht ursprünglich ihm diente. Die Segnungen einer politischen und geistigen Union müssen sich an einem europäischen Volk orientieren und nicht eine Fiskalunion als Maß aller Dinge preisen.

Wenn darüber hinaus ein Europa der Menschenrechte an seinen Außengrenzen das Gesicht des kühlen Bewahrers von Reichtum und Wohlstand zeigt, anstatt den sich sehnenden ausländischen Menschen nach eben dieser Freiheit und Menschenwürde Einlass zu gewähren, ist eine Verteidigung dieses Europas nicht selbstverständlich oder gar hinreichend. Viel eher kann diese Verteidigung nur als Anlass begriffen werden, die bestehenden Verhältnisse zu verändern und die Menschen zu unterstützen, die das Recht auf Menschenwürde verlangen aber außerhalb der europäischen Grenzen geboren wurden. Das Europa der Menschenrechte endet bis heute an den Grenzzäunen in Ceuta und Melilla auf dem afrikanischen Kontinent, in Flüchtlingsunterkünften auf Lampedusa oder an der offenen griechisch-türkischen Grenze. Das ist nicht mein Europa.

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