Samstag, 28. Januar 2012

Freiheit im Herzen

Die Philosophie des Reisens
Lässt sich in drei Varianten
erleben

       Der Aufbruch

             Die Reise

                  Das Ankommen

Du musst die Tage überdauern
an denen das Atmen schwerfällt
und die Stimmen aus deinem Kopf vertreiben
Es ist der richtige Weg

      Vermutlich

              Der einzige

                    für dich

Sonst nehme den nächsten
In die andere Richtung

Freitag, 27. Januar 2012

Darf hier noch die Sonne scheinen

Unvorstellbarer Gräuel
das Gleisbett auf dem Züge aus
ganz Europa endeten
umrahmt von hunderten Holzbaracken
und heute noch unzähligen Schornsteinen

8.000 Mitarbeiter
1.000.000 Tote

Wie ist das bloß möglich gewesen

Samstag, 21. Januar 2012

Kulissenkritik

Einfache Halbwahrheiten und Ausflüchte
tummeln sich in der hell erleuchteten Manege
im Angesicht des geifernden Publikums

Klatschend und johlend fordern wir vom
Dompteur einer entglittenen Zeit
Oberflächlichkeit als Hintergrundrauschen

Die üblichen Verdächtigen führen
mit allzu bekannten Requisiten
einen sich ewig drehenden Reigen
um die neuste Kunde des Herrn in schwarz

Amüsantes legt sich bedächtig wie Tau
auf alles Investigatives und Differenziertes

Die schwere Decke des Entertainments
erdrückt die sich erhebende Hand
des kritischen Wortes
und der sich gebietenden Zweifel

mit unserer voller Zustimmung

Mittwoch, 18. Januar 2012

Zynismus in vier Wänden

Mir frieren die Gedanken ein
Einzig einer trägt meine Finger

Hunderte
Tausende

Immer wieder

An der verriegelten Tür
klopft das Milieu mit D-Rating

Hunderte
Tausende

Immer wieder

Montag, 16. Januar 2012

Wider der Ausleuchtung

Transparenz schafft kein Vertrauen

im Gegenteil

Wir vertrauen den Personen
über die wir nicht alles wissen

Transparenz muss erst geschaffen werden
Wenn das Vertrauen
In Personen und Institutionen
Längst zerstört worden ist

Ideologische Transparenz schafft Kontrolle
ein Klima des Verdachts

und damit die Freiheit
ab

Freitag, 13. Januar 2012

Zuversicht am Golf

Den letzten Spatel der Vollendung erfährt
das schönste Werk der Menschheit
erst im direkten Angesicht
ihres stärksten Widersachers

des Menschen selbst

Nun erst zeigt er sich
in seiner ganzen Entwicklung
Er ist erwachsen geworden
in seiner Hoffnung auf Frieden

Der Krieger wird nicht kommen

Sonntag, 8. Januar 2012

Romantisierendes Obdach

Zartes Sonnenlicht zerbricht auf ihren kalten Wangen          
Unter dem blauen Saum einer Mütze blinzeln kleine Augen
dem Erwachen eines weiteren anonymen Tages entgegen
eine elegische Narration in zuverlässiger Endlosschleife

Das zusammengewürfelte Inventar des Überlebens
benetzt durch den feuchten Film der sterbenden Dunkelheit
festgezurrt unter stummen Blicke der ersten Meisen
bedient unser vernebeltes Synonym von urbaner Armut

Die bleiernen Schritte aus dem zweckentfremdeten Obdach heraus
Begleiten die Ungewissheit ob das Lager am Abend noch besteht

Die Kommunikation unter Gleichgesinnten als einzige
zwischenmenschliche Verbindung überhaupt
abgesehen vom demütigen Antlitz vorbeiziehender Personen
die vermummt mit namenloser Blicken
mit euphemistische Panoramen vor dem inneren Auge
über sie hinweg schauen

So versuchen beide Teile des Ganzen ihrer Würde
gerecht zu werden und doch
ihre Blicke treffen sich nicht
bis zum Abend an dem die Augen zur Nacht erblinden

Donnerstag, 5. Januar 2012

Historizität der deutschen Frage

Die Frage nach einem angemessenen
Umgang mit der deutschen Vergangenheit
Explizit mit der Zeit ist eine sehr regelmäßige
Frage – unvorstellbar und verständlich zugleich

Moralvorstellungen ändern sich

Eine Erinnerungskultur in der Homosexualität
Lange Zeit ein Straftatbestand war und dadurch
jegliche Anerkennung eines Opferstatus ausschloss

Sensibilitäten ändern sich

Der Bau und darüber hinaus die Rehabilitierung
von Gefängnissen auf ehemaligen Arealen von
Konzentrationslagern aufgrund pragmatischer
Kalkulationen der Kosten und Nutzen

Fragen ändern sich

Früher habt ihr gefragt
Warum kann nicht endlich ein Strich
unter die Vergangenheit gezogen werden

Heute müssen wir fragen
Warum konntet ihr keinen Strich
unter eure Vergangenheit ziehen

Mittwoch, 4. Januar 2012

Seelenleiden

Wenn ich darüber nachdenke
     Noch eine Brezel
Worüber ich täglich rede
     Herzlich Willkommen
Wird mir elend im Herzen
     Eine halbe Stunde vorher

Routinierte Sprachkonserven
     Den Versicherungsschein bitte
Unter Qual herausgepresst
     Toiletten im Erdgeschoss
Konserviert in gefrorenem Lächeln
     Brücke 3 , Nummer 62

Für jämmerliches Geklimper
     Acht Euro achtzig

schwärzer könnte die Nacht kaum zeichnen

Montag, 2. Januar 2012

Vision Europa

Das Konzept des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, unveräußerliche Menschenrechte oder auch die Reisefreiheit im Schengenraum sind allesamt außerordentliche Segnungen für die Völker Europas und einzigartig in der Geschichte dieses Kontinents. Trotzdessen müssen die immer lauter werdenden Rufe nach der intellektuellen Elite, die Europa vorm politischen und gesellschaftlichen Abgrund bewahren –  und gleichwohl einen identifikatorischen Zusammenhalt schaffen sollen –  scheitern.

Ein geistiges Europa hat es nie gegeben.