Sonntag, 27. November 2011

Der falsche Rückschluss

Über zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass der Ruf nach einem Parteiverbotsverfahren der NPD über Parteigrenzen hinweg wieder große Zustimmung erhält. Das damalige Verfahren, ebenfalls aufgrund aktueller Gewalttaten motiviert, wurde vom Bundesverfassungsgericht wegen der Mitarbeit von Verfassungsschutzleuten in führenden Positionen der Partei  eingestellt. Eine verfassungswidrige Grundhaltung der NPD wurde zum damaligen Zeitpunkt nicht geprüft.

Überhaupt gab es in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik bisher erst zwei erfolgreiche Parteiverbotsverfahren. Beim letzten Verbot, dass der Kommunistischen Partei (KPD) im Jahre 1956, finden sich bis heute negative Stimmen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, da es aus der zunehmend antikommunistischen Stimmung des beginnenden Kalten Krieges geboren wurde und politischer Druck der Regierung Adenauer nicht ausgeschlossen werden konnte.

Ein womöglich populistisch motiviertes Parteiverbotsverfahren verhindert jedoch gerade nicht rechtsextremistisch motivierte Gewalt und die Verbreitung deren Gedankengutes, sondern lädt lediglich die Schuld für das Erstarken derselben bei einer Partei ab. Und nicht bei uns allen, die wir uns eine Menge fragen lassen müssen.

Warum gibt es beispielsweise in den offiziellen Statistiken lediglich 48 Opfer rechter Gewalt ab 1990, obwohl Recherchen von DIE ZEIT und dem Berliner Tagesspiegel von 148 Fällen sprechen? Warum beginnt diese Expertise erst ab dem Jahr 1990? Warum gab es bis 1990 keine offizielle amtliche Statistik zu Opfern rechter Gewalt? Bedeuten erst der Fall der Berliner Mauer und der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des westdeutschen Grundgesetztes, den Beginn des „bösen Zeitalters“, der Startschuss von Hetze und Gewalt deutscher Neonazis gegen Mitbürger unserer gesamtdeutschen Republik?

Demokratisch bekämpft werden muss der neonazistische  Unsinn. Auf der Straße, in Diskussionen und im Parlament. Ein einfaches Verbieten und Ausschließen aus der demokratischen Arena führt auf Seiten der Rechtsextremen lediglich zu der irrigen Annahme, hier solle etwas mundtot gemacht werden, und erhält postwendend den Märtyrerstatus. Und der bundesrepublikanische Zeitungsleser des Boulevarddschungels findet sein Lieblingscredo „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“ in gewohnter Schärfe gegen andersaussehende Mitbürger vor, ohne beschämt auf sein eigenes Verhalten schauen zu müssen.

Ein Verbotsantrag ist begründet, wenn es  als letzter Akt des Staates zur Rettung seiner freiheitlich demokratischen Grundordnung begriffen und verstanden wird. Und nicht als Erster.

Stattdessen wird ein lautstarkes und kurzweiliges Medienecho erzeugt, anstatt die Ursache von Extremismus - Armut, Perspektivlosigkeit, Verwahrlosung und mangelnde Bildung – in unserer Gesellschaft langfristig anzugehen. Dies wäre ungemein schwieriger, kostenintensiver und vor allem langwieriger, als ein Verbot, da zuletzt jeder einzelne Bürger gefordert wäre. Es würde den Bürgern Zivilcourage abverlangen, aktives reflektieren und Abkehr von alltäglichen ausländerfeindlichen Floskeln bedeuten. Zu oft kam bereits in der letzten Woche die Scham über Begrifflichkeiten der Boulevardpresse auf, die die meisten anderen Medien kommentarlos übernahmen.

All dies würde zuerst bedeuten, Verantwortung zu übernehmen. Und die beginnt bei der Sprache.

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